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Ein Haufen Briefe

Das Recht auf Postgeheimnis

Im Alltag von DDR-Bürgerinnen und Bürgern waren beschädigte Briefe, verschwundene Postkarten oder verschollene Pakete keine Seltenheit, insbesondere wenn sie aus dem Westen kamen. 

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Art. 12

der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: "Niemand darf willkürlichen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung und seinen Schriftverkehr oder Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden. Jeder hat Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen."

Persönliche Briefe und Telefongespräche von Bürgern sind damit vor staatlichen Eingriffen geschützt. Ausnahmen von diesem Schutzrecht können in Gesetzen definiert werden.

Zentrale Kartei der Postkontrolle: In der sogenannten M-Kartei lagerte ein Großteil der vom MfS abfotografierten Post als Negativ. Auf den Karteikarten erfasste das MfS Personendaten einzelner Bürger.
Art. 32

der Verfassung der DDR garantiert: "Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzbar. Sie dürfen nur auf gesetzlicher Grundlage eingeschränkt werden, wenn es die Sicherheit des sozialistischen Staates oder eine strafrechtliche Verfolgung erfordern."

Auch die DDR-Verfassung bekannte sich zum Grundprinzip des Schutzes von Post- und Fernmeldegeheimnis. Doch im Alltag von DDR-Bürgerinnen und Bürgern waren beschädigte Briefe, verschwundene Postkarten oder verschollene Pakete keine Seltenheit, insbesondere wenn sie aus dem Westen kamen. Das Brief- und Fernmeldegeheimnis fiel dem Sicherheitsstreben der herrschenden Staatspartei SED zum Opfer. Denn wo besser als in der vermeintlich geschützten Privatsphäre konnte man sich darüber austauschen, was man wirklich dachte. Die Staatssicherheit verletzte durch eine systematische und integrale Postkontrolle millionenfach ein Menschenrecht und oft auch geltendes DDR-Recht.

Begonnen hatte die systematische Überwachung des Postverkehrs in den 1950er Jahren. Im beginnenden „Kalten Krieg“ der Systeme wurde wechselseitig in größerem Umfang Propaganda über Postwege verschickt. Die im Stasi-Jargon als "Hetzschriften" bezeichneten Publikationen aus dem Westen galt es abzufangen und aus dem Verkehr zu ziehen. Umgekehrt wurde dies in jener Zeit auch in der Bundesrepublik praktiziert. Zunehmend gerieten jedoch die eigenen Bürgerinnen und Bürger in das Visier der Briefüberwachung der Stasi.

Schreiben und Pakete wurden geöffnet, auf verwertbare Informationen, aber auch auf Wertsachen durchsucht. Briefe und Paketinhalte wurden einbehalten oder vernichtet, oft aber auch abfotografiert und mit Verzögerung wieder dem Zustellbetrieb zurückgeführt.

Um den großen Informationshunger zu stillen und möglichst viele Briefe mitlesen zu können, kaufte und entwickelte die Stasi ab Mitte der 1970er Jahre Maschinen, die einige der notwendigen Arbeitsschritte automatisiert erledigten. Im Wissen um den Bruch der eigenen Verfassung und aus Gründen der Geheimhaltung versuchte die Stasi, Spuren der Post-Kontrolle zu verwischen.

Eine MfS-Mitarbeiterin bügelt wieder verschlossene Briefe. Dadurch sollten Spuren der Öffnung beseitigt werden.

Die Überwachung von Telefonaten war sowohl an die Anzahl der vorhandenen Telefone als auch die dafür notwendige Technik geknüpft. Da es zu keiner Zeit ein den Bedarf deckendes Telefonnetz in der DDR gab – gegen Ende der DDR hatte nur jeder siebte Haushalt ein Telefon - und auch die vorhandene Technik eine Massenüberwachung nicht möglich machte, war diesem Eingriff in die Privatsphäre eine größere Grenze gesetzt als dies beim Postverkehr der Fall war. Dennoch hörte die Stasi beispielsweise im Jahr 1986 hunderttausende Telefongespräche in der DDR ab.

Gedankenkontrolle

Mit der Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses verfolgte die Staatssicherheit mehrere Ziele: Sie wollte ganz konkret den Austausch zwischen Ost und West unterbinden oder im Mindesten wissen, worüber Menschen sich austauschen. Dieses Wissen über die Gedanken der eigenen Bevölkerung half immer auch, Andersdenkende verfolgen und bestimmten Tendenzen entgegen wirken zu können.

Obwohl sich das MfS große Mühe gab, diese Eingriffe in die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger zu verheimlichen, blieb es den Menschen nicht verborgen. Diese entwickelten eigene Methoden, um der Bespitzelung zu entgehen. Sie versuchten, vertrauliche Informationen zu schützen. Wichtiges wurde nicht am Telefon besprochen, Kritik und Informationen nur verschlüsselt geäußert, Material über Umwege verschickt. Viele Oppositionelle nutzten gar Deckadressen oder diplomatische Verbindungen, die als Kuriere unkontrolliert Briefe und Informationen übermitteln konnten.

Brief- und Paketkontrolle

Voraussetzung für eine flächendeckende Kontrolle des Briefverkehrs war die institutionelle Abhängigkeit des Ministeriums für Post- und Fernmeldewesen von der SED. So konnte der Staatsapparat seiner Geheimpolizei Zugriff auf die private Kommunikation seiner und Bürger anderer Staaten verschaffen. Begünstigend wirkte auch die nahezu militärische Organisation der Post, die als "alleiniger Nachrichtenverkehrsträger der DDR" der erste Ansprechpartner für das MfS bei der Überwachung privater Kommunikation war. Nicht zuletzt war die Post durch Inoffizielle Mitarbeiter (IM) unterwandert, die Postüberwachungs- und Abhörmaßnahmen durch Manipulationen an der Infrastruktur unterstützten.

In "konspirativen Räumen" innerhalb der insgesamt 15 Briefverteilämter in den Bezirken der DDR gab es jeweils eine sogenannte "Stelle 12". Dort filterten hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter in Postuniformen den gesamten Briefverkehr aufgrund konkreter Vorgaben. Einer genaueren Kontrolle unterzog die Staatssicherheit grundsätzlich Sendungen des gesamten internationalen Postverkehrs, Briefe aus und nach Ost-Berlin sowie den Bezirkshauptstädten und aus Briefkästen an Transitstrecken. Ins Visier gerieten immer wieder auch Orte, in denen sich Widerstand gegen das SED-Regime regte.

Fahndungstafeln für die Anschriftenfahndung in einem Postamt. Hier filterten hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter in Postuniformen den Briefverkehr. Tauchte ein Schreiben mit einer auf den Tafeln verzeichneten Überschrift auf, wurde der Brief für die weitere Kontrolle aussortiert.

Konkrete Fahndungsaufträge sprach die für das Nachrichten- und Fernmeldewesen zuständige Hauptabteilung XIX aus. Dafür existierten große Fahndungstafeln, die mit Namen und Adressen bestückt waren. Die Mitarbeiter der Abteilung M glichen die durchlaufenden Briefe mit diesen Daten ab. Gleichzeitig entstand bei dieser Arbeit die sogenannte M-Kartei. Die bei der Kontrolle festgestellten Verbindungen zwischen Absender und Adressat wurden alphabetisch nach Namen abgelegt und zusätzlich mit Hilfe des polizeilichen Melderegisters ergänzt. So entstand eine Datensammlung von enorm hoher Dichte – angelegt unter millionenfacher Verletzung des Brief- und Fernmeldegeheimnisses.

Über einen Kurierdienst gelangten ausgesonderte Sendungen in die Dienstgebäude des MfS, wo sie mit Wasserdampf befeuchtet, geöffnet, kopiert, auf Wertsachen oder Informationen durchsucht, zur Weiterleitung wieder verschlossen oder einbehalten wurden. Dafür stand in der Regel ein Zeitraum von zwölf Stunden zur Verfügung. Erst danach konnte die Deutsche Post mit der regulären Briefzustellung beginnen.

Kaltdampfgeräte des MfS zum Öffnen von Briefen mit sogenannten "Einlagen". Das waren zum Beispiel Fotos, die der heiße Dampf der Öffnungsmaschinen für normale Briefe beschädigt hätte.

Bei der Suche nach Wertsachen sammelte die Stasi wichtige Devisen für den Staatshaushalt. Das MfS entnahm grundsätzlich D-Mark-Beträge aus den überprüften Briefen. Allein zwischen Januar 1984 und November 1989 ergab dies eine Summe von 32,8 Millionen DM. Das Geld wurde entwendet und der betroffene Brief vernichtet. Ebenso verfuhr die Stasi bei Paketen, wobei sie in diesem Fall mit dem Zoll kooperierte.

Da die Postkontrolle auch gegen geltendes DDR-Recht verstieß, erzeugte die Staatssicherheit durch ein spezielles Verfahren Scheinlegalität, um Briefe vor Gericht verwenden zu können. MfS-Mitarbeiter formulierten für die Post Schreiben, die den Betroffenen erklärten, dass ihre Briefe aufgrund eines Verstoßes gegen die Postordnung einbehalten wurden. Bei deutlich verzögerten Sendungen wurden die Daten der Poststempel unkenntlich gemacht. Die Mitarbeiter der Abteilung M verschlossen die geöffneten Briefe sorgfältig und ersetzten außerdem bei Bedarf die Umschläge inklusive Wertmarke. Dafür gab es eine eigens angelegte Briefmarkensammlung aus aller Welt.

MfS-Mitarbeiter beim Abhören zuvor aufgezeichneter Telefongespräche. Zu sehen sind zwei Männer, die an Tonbandapparaten sitzen und Kopfhörer tragen.

Telefonkontrolle

Die für Telefonkontrolle zuständige Abteilung 26 agierte grundsätzlich nur auf Weisung anderer, operativer Diensteinheiten, beispielsweise der Hauptabteilung XX, zuständig für die Opposition im Land. Am Anfang der Abhörmaßnahmen stand ein Inoffizieller Mitarbeiter der für das Telefonnetz zuständigen Post. Dieser erhielt den Auftrag, die notwendigen Manipulationen im Leitungsnetz vorzubereiten. Hatte eine zu überwachende Person, wie in der DDR durchaus üblich, keinen eigenen Telefonanschluss, dann konnte das MfS darauf einwirken, dass der entsprechende Antrag eilig behandelt wurde. So kam der Betreffende unverhofft zu einem eigenen Anschluss.

Das Abhören ging auf Kosten der Signallautstärke und erzeugte ein Knacken in der Leitung. Das MfS richtete über die ganze DDR verteilte Abhörstudios ein. Dort zeichneten Mitarbeiter Gespräche ganz oder teilweise auf, im Durchschnitt über einen Zeitraum von 30 Tagen. Je nach Inhalt und Wichtigkeit wurden aus den Tonband- oder Kassettenaufnahmen Transskripte oder Zusammenfassungen erstellt und an die Abteilung weitergeleitet, die den Auftrag zur Telefonkontrolle erteilt hatte.

Angebote aus dem Stasi-Unterlagen-Archiv

Beispiele aus den Stasi-Unterlagen

Das "klingende Sonntagsrätsel"

Für die Stasi war jeder Brief und jede Postkarte verdächtig, die in die Bundesrepublik gesendet wurde. In einigen Fällen wurde Sendungen in den Westen grundsätzlich einbehalten. Dies war zum Beispiel der Fall bei ungezählten Postkarten, die DDR-Bürger an den West-Berliner Radiosender RIAS adressierten. Diese Karten sollten weder brisante Informationen über die DDR, noch Kritik am Staat transportieren. Vielmehr wollten DDR-Bürger mit diesen Postkarten am "klingenden Sonntagsrätsel" des Radiosenders teilnehmen. Heute ist klar, warum kein DDR-Bürger jemals die Chance hatte, zu gewinnen. Das MfS hatte die Postkarten aus dem Verkehr gezogen.

Observation eines Briefkastens

Die unter anderem für den "politischen Untergrund" zuständige Hauptabteilung XX fertigte diese Aufnahmen an. Es handelt sich dabei um eine Observation von Bürgern beim Einwurf der Post in einen öffentlichen Briefkasten und die Entleerung durch Postangestellte. Auf diese Art und Weise konnten beispielsweise Sendungen Oppositioneller abgefangen oder diese mit bestimmten Sendungen in Verbindung gebracht werden.

Technische Geräte zum Öffnen, Verschließen und Untersuchen der Post

In den Dienstgebäuden der Stasi wurden die in der Poststelle aussortierten Briefe einer aufwändigen Prozedur unterzogen. Um die Briefe Lesen zu können, mussten sie so geöffnet, kopiert und geschlossen werden, dass der Empfänger nichts davon merkte. Dazu kamen eine Reihe von Maschinen und Techniken zum Einsatz, die das MfS teilweise selbst entwickelt hatte.

Stasi-Mitarbeiter beim Abhören von Telefongesprächen

Mitarbeiter der zuständigen Abteilungen im MfS nahmen Telefongespräche auf Tonbänder auf. Teilweise wurde dies in einem maschinellen Vorgang automatisch durchgeführt. Schlussendlich mussten jedoch alle Gespräche von Interesse abgetippt oder schriftlich zusammengefasst werden.

Dienstanweisungen der Stasi zur Post- und Telefonkontrolle

In der Dienstanweisung für die Abteilung 26 legte Armeegeneral und Stasi-Minister Erich Mielke die spezifischen Aufgaben der Einheit fest. Dazu gehörte u.a. die Telefonüberwachung des Fernsprechverkehrs der Deutschen Post (sogenannter Auftrag A). Besondere Aufmerksamkeit sollte laut Dienstanweisung der Geheimhaltung gewidmet werden.

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Zu den Zielstellungen der Abteilung M gehörte es, die Verbreitung politisch brisanter Inhalte zu verhindern und darüber hinaus alle interessanten Informationen für die Arbeit anderer MfS-Abteilungen zu erfassen. Darüber hinaus definierte Stasi-Chef Mielke in diesem geheimen Schreiben den Umfang der Kontrollen durch die Abteilung sowie Grundsätze für deren Zusammenarbeit mit Post und Zoll.

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Mehr Postkontrollen

Nach dem Abschluss der KSZE-Konferenz intensivierte das MfS die Kontrolle des Postverkehrs in den Westen – obwohl eigentlich in der Schlussakte von Helsinki die Erleichterung und Förderung des Informationsaustausches, beispielsweise zwischen der DDR und der Bundesrepublik vereinbart worden war.

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